Das Gasthaus im Harz

Am Fuße des Brocken, im schönen Harz,
da liegt in des Bergkreises Banne
ein Wirtshaus, das man im Lande gekannt
als das Gasthaus "Zur grünen Tanne".

Und wenn der Frühling wehte in´s Land,
da kam in gewohnter Weise
zu dem freundlichen, vornehm-diskreten Wirt
manch Paar auf der Hochzeitsreise.

Und das beste Zimmer im ersten Stock,
mit Badezimmer und Balkone,
war sorglich gerichtet und immer bereit,
daß ein Pärchen dort hochzeitlich wohne.

Es sah das Zimmer im ersten Stock
schon manche zärtliche Stunde,
doch gerade darunter saß im Parterre
beim Wirte die Stammtischrunde.

Fünf ältere Herren, die hockten am Tisch,
beim Weine und beim Kanaster:
der Doktor, der Apotheker, der Wirt,
der Amtsrichter und der Herr Pastor.

Und jedesmal, wenn ein Hochzeitspaar
bewohnte das Zimmer dort oben,
dann machte der Wirt ganz leise "Pst-pst!"
und zeigt´ mit dem Daumen nach oben.

Da wurden die Alten wohl wieder jung
und steckten die Köpfe zusammen,
und es rötete bald die Erinnerung
die Gesichter wie lodernde Flammen.

Der Oberkellner, der würdige Franz,
der stellte schon lächelnd und milde
im Kübel ´ne Flasche Henckel kalt -
er war für die Fälle im Bilde.

Es hoben die Alten die Blicke empor,
zur Decke nach einer Stelle,
wo grad´ über´m Tisch am Balken hing
eine kleine silberne Schelle.

Am Deckenholz sah man gar listig und klug
ein seidenes Fädchen sich winden,
das bis in die Nähe der Wand sich zog,
dort sah man im Spalt es verschwinden.

Und jedesmal, wenn mit silbernem Klang
das Glöcklein die Stimme tat heben,
dann stießen die Alten die Gläser an
und ließen das junge Paar leben.

Der Ober füllte die Gläser frisch
und lächelte freundlich und milde
und stellt eine weitere Flasche kalt -
er war dafür bestens im Bilde.

Oft glühte den Alten der graue Kopf
beim perlenden Wein und Kanaster,
dem Doktor, dem Apotheker, dem Wirt,
dem Amtsrichter und dem Herrn Pastor.

So zog und wieder zu Zeiten des Mai
- wie süß klang der Nachtigall Weise -
im ersten Stock in das Zimmer zwei
ein Paar auf der Hochzeitsreise.

Und wieder hatte der Ober Franz
- sein Antlitz erstrahlte in Milde -
die übliche Flasche bereitgestellt,
er war so wie immer im Bilde.

Schon mehrmals hatte das Glöcklein getönt,
da hob man schon wieder den Becher,
und wieder brachten dem jungen Paar
ein "Hoch!" die begeisterten Zecher.

Doch als dann das Glöcklein zum sechsten Male klang,
rief der Wirt, verwirrt von dem Klange:
"Mir ist" - und die anderen nickten ihm zu -
"um Deutschlands Zukunft nicht bange!"

Und als gar die achte der Flaschen geleert,
und die neunte schon wartet am Kübel,
da zitierte der Pastor mit sichtlichem Ernst
diesbezügliche Stellen der Bibel.

Der Amtsrichter wollt´ sich als strenger Jurist
über´s "jus primae noctis" verbreiten
und fing mit dem ander´n Lateiner am Tisch,
dem Doktor, schon an sich zu streiten.

Doch als ein weiteres Zeichen erklang
wie das erste so hell und so milde,
verlor selbst der Ober die Übersicht,
er war nicht mehr völlig im Bilde.

Es wurde dem Franz in dem Frack fast zu viel,
und er hat nur schwer sich bemeistert.
Der Apotheker lachte nur: "Donnerkiel!"
und war von dem Glöckner begeistert.

Bald stieg ihnen der Henckel zu Kopf,
sie begannen wie Jungen zu toben,
der Pastor hingegen sang einen Choral,
auf die Stärke des Herrn dort droben.

Und wieder war eine Flasche gebracht
und geleert wie Bier in der Kanne,
denn das Glöcklein schwieg nicht in dieser Nacht
im Gasthaus "Zur grünen Tanne".

So kam´s, daß ein winziges Glöcklein,
das im Mai eine Nacht lang geklungen,
mit silbernem lieblichem Klingeling
so trinkfeste Zecher bezwungen.

Doch sucht Ihr, dann sucht Ihr vergebens im Land
nach dem Gasthaus "Zur grünen Tanne"
seit jener Nacht ist es nur noch bekannt,
als das Gasthaus "Zum wilden Manne".